Referendar sein in Australien
Unsere Zeit in Australien ist nun leider fast zu Ende und somit endet nicht nur ein Vierteljahr in dem wir einige tausend Kilometer mit dem Auto zurückgelegt haben, ein halbes Duzend mal geflogen sind, 50 Gigabyte Fotos verschossen haben und so viele Eindrücke gesammelt haben, dass wir wohl mindestens nochmal genauso lange brauchen werden um sie zu verarbeiten. Es endet auch unsere Zeit die wir mit australischen Juristen verbringen konnten, und die streng genommen ja den Schwerpunkt unseres Aufenthalts hier bilden sollte. Natürlich ist es klar, dass wir nicht nach Australien gefahren sind, um dann den ganzen Tag nur im Büro zu sitzen und Akten zu bearbeiten, und dass wir das nicht gemacht haben, könnt ihr ja aus den bisherigen Blogeinträgen entnehmen. Aber für all diejenige unter euch, die unsere wundervolle Zeit hier mitverfolgt haben und sich nun auch überlegen eine Referendariatsstation hier zu verbringen, oder einfach gern mehr über das australische Rechtssystem und den Juristenalltag wissen möchten, ist dieser Blogeintrag gedacht:
Ohne Kaffee läuft hier gar nix! |
Zunächsteinmal also zur Frage, wie man eigentlich die Station in Australien angeht. Einen Ausbildungsplatz hier zu bekommen kann zwar etwas Geduld erfordern, ist aber auf jeden Fall machbar. Wir haben jeder ziemlich viele Emails geschrieben um uns zu bewerben.
Von der Station in einer Kanzlei kann man erwarten, dass man sich viel mit Recherchen in den Juristischen Datenbanken beschäftigt (da das Rechtssystem sich hier an Fällen orientiert muss für den gerade zu bearbeitenden Fall oft nach ähnlichen bereits entschiedenen Fällen gesucht werden), Akten liest, Mandantengesprächen beiwohnt und zum Gericht mitgeht. Bei einem Barrister geht man hauptsächlich zu Gericht mit und hilft bei der Vorbereitung der Fälle, indem man Zeugenaussagen durchgeht oder Materialien zusammen fasst. Im Großen und Ganzen wird man davon ausgehen können, dass man einen guten Einblick in das Rechtssystem erhält, bei Gericht vielleicht auch mal die Auswahl einer Jury oder Kreuzverhör mit filmreifen Darbietungen der Barrister miterlebt und am Arbeitsalltag teilhaben kann. Natürlich stößt man mit seinen Sprachkenntnissen dann auch mal an seine Grenzen, wenn man im Alltag gut zurecht kommt, aber auch in dieser Hinsicht wird man neben einem leichten Australischen Akzent viel mitnehmen. Und die Ausbilder hier wissen ja im Zweifel auch worauf sie sich einlassen, wenn sie einen deutschen Praktikanten nehmen und erwarten nicht zu viel, helfen aber gern.
In der Bewerbung sollte man jedenfalls kurz erklären, was ein deutsches Referendariat eigentlich ist und es hilft auch zu erwähnen, dass man in Deutschland bezahlt wird und die Australier uns nicht bezahlen brauchen. Bei den Ausbildungsstandorten in Deutschland, also bei den Gerichten sollten normalerweise Ordner mit Listen ausliegen, in denen Stellen ausgeschrieben sind, bei denen man sich im Ausland bewerben kann. Für Australien sind immerhin auch einige Seiten dabei. Ansonsten hilft natürlich Google auch weiter. Und es schadet nichts einfach alle anzuschreiben, die etwas interessantes anbieten, auch wenn man dann bei 100 Emails ist.
Als nächstes stehen dann Visum und Reisevorbereitungen an. Ersteres bekommt man im Internet und dann via Email. Es gibt ein Visitor Visum for Business Purposes. Das ist wie das normale Touristenvisum kostenlos, drei Monate gültig, erlaubt einem jedoch nicht hier zu arbeiten, was wir als Praktikanten ja auch nicht tun, da wir in Deutschland bezahlt werden. Bei den Reisevorbereitungen solltet ihr berücksichtigen, wann hier die Gerichte Ferien haben (in den ersten Januarwochen sind die meisten Barrister nämlich deshalb im Urlaub). Ansonsten haben wir es mit unseren Ausbildern hier so abgesprochen, dass wir auch zwischendurch etwas frei nehmen konnten um noch kleine Reisen zu unternehmen, in der übrigen Zeit aber jeden Tag hingehen. In Deutschland ist man ja normalerweise nicht jeden Tag bei seinem Ausbilder. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass die das hier sehr locker sehen und es gab nie Probleme wenn wir frei bekommen wollten, wir wurden vielmehr ermutigt, möglichst viel vom Land zu sehen.
Gewohnt haben wir, wie man ja bereits vorher schon lesen konnte, in einem shared-house. Eine WG in groß sozusagen. Man kann auch die ganze Zeit im Hostel bleiben, wie Jenny es gemacht hat, das hat sicherlich den Vorteil dass man nur die Nächte bezahlt, die man auch tatsächlich da ist, und hingegen keine zusätzlichen Kosten hat, wenn man zwischendurch ein paar Tage wegfährt. Der Nachteil ist dass man im Hostel wohnt, sich sein Zimmer immer mit mehreren Leuten teilen muss, die im Zweifel immer einen anderen Schlafrhythmus haben wie man selbst. Wir haben uns jedenfalls in unserem Haus sehr wohl gefühlt. Eine Unterkunft suchen kann man hier nur kurzfristig, es wird also kaum möglich sein schon von Deutschland aus ein Zimmer zu finden. Aber keine Sorge, das geht hier alles sehr schnell. Wir hatte erst eine halbe Woche bevor wir nach Melbourne gekommen sind im Internet nach Zimmern geschaut und dann etwas rumtelefoniert und sofort was gefunden.
Artevita - unser (!) Cafe, wo man uns mit Namen begrüßt und weiss wie wir unseren Kaffee trinken |
Nun zum Rechtssystem. Wir werden dabei natürlich nicht allzu sehr in die Tiefe gehen, um unsere (hoffentlich wachsende!?!) Leserschaft nicht zu verschrecken. Es wird jedoch sicher der ein oder andere (nicht nur Jurist) dabei sein, der hiermit etwas anfangen kann:
Einen großen Unterschied gibt es schon im Bereich der Gesetzgebung. Anders als in Deutschland machen die Bundesstaaten und Territorien hier grundsätzlich jeweils ihre eigenen Gesetze. Nur für Bereiche, bei denen alle Bundesstaaten und Territorien zugestimmt haben und solchen, die nicht naturgemäß nur auf Bundesebene geregelt werden können, kann die Gesetzgebung auf die Ebene des Bundes verlagert werden. Das sind beispielweise Teile des Familienrechts, des Verbraucherschutzrechts und des Strafrechts, sowie das Recht der Native Titles (betrifft die Anerkennung eines andauerndes legalen Anrechts der Aborigines an Land). Daher haben die Bundesstaaten auch ihr eigenes Rechtssystem und haben jeweils einen eigenen Gerichtsaufbau. Daneben (nicht darüber!) steht der Federal Court der sich mit den Bundesangelegenheiten befasst. So laufen wir hier in unserem Law Bezirk in der Hauptstadt Victorias an unglaublich vielen Gerichten vorbei: dem Magistrates Court (Amtsgericht), dem County Court (Landgericht), dem Supreme Court und den Federal Courts.
County Court |
Supreme Court |
Das Rechtssystem basiert auf dem Common Law – so ist die Aufgabe eines Solicitors (dem Anwalt der in der Regel nicht vor Gericht auftritt, sondern nur im Mandantenkontakt steht und einen Barrister für die Präsentation vor Gericht beauftragt) vielmehr das Auffinden vergleichbarer Fälle als die Auslegung und Interpretation des Gesetzes. Das können auch mal welche aus England oder auch Neuseeland sein. Gesucht wird in Datenbanken im Internet oder auch in der Library des Supreme Courts, die unglaublich schön ist - nur leider ist Fotografieren dort verboten. Hat ein höheres Gericht einen ähnlichen Fall schon mal entschieden, muss die Entscheidung am Ende die gleiche sein. Gefällt der Legislative nicht, wie hinsichtlich eines ihrer Gesetze entschieden wird, so muss sie das Gesetz ändern (und wenn es nur irgendetwas am Wortlaut ist – eine minimale Änderung reicht), damit einer neuen Rechtsprechung Tür und Tor geöffnet werden. Daher sind Gesetzesänderungen anders als bei uns hier an der Tagesordnung. Was darüber hinaus eine viel grössere Rolle spielt als bei uns ist Mediation.
Unsere Ausblicke aus den Büros |
Ein weitere großer Unterschied ist das Jury-System. In Strafprozessen ab dem County Court und in manchen Zivilprozessen (dort müssen die Parteien allerdings die Kosten tragen) gibt es eine Jury. Diese wird nach dem Zufallsprinzip aus den Gemeindebürgern ausgewählt. Wer einen guten Grund hat kann sich nach der Ladung von einer Teilnahme im Prozess entschuldigen lassen (Verbindungen zu dem Prozess, wichtige Verpflichtungen, denen man in dieser Zeit nachkommen müsste, geplante Urlaube, Arzttermine bei einem Spezialisten, auf die man schon sehr lange gewartet hat, etc.). Alle anderen werden kann nochmals per Los gezogen und müssen der Reihe nach am Angeklagten vorbei gehen, der kann bei 6 Personen ohne Angabe von Gründen ein Veto einlegen und noch weitere potentielle Jurymitglieder ablehnen, wenn er einen wirksamen Grund hat. In der Regel wird der Angeklagte solche Mitglieder ausschließen, bei denen er Vorurteile vermutet. So wird beispielsweise in einem Prozess, in dem es um die Vergewaltigung einer jungen Frau geht keine Frau in gleichem Alter gern in der Jury gesehen, da diese sich wohl eher in die Position des Opfers versetzen wird. Auch Krankenschwestern oder Schul- und Kindergartenlehrer werden nicht gern gesehen. Am Ende sind 12 Jurymitglieder ausgesucht. Wie im Film entscheidet diese dann ob der Angeklagte schuldig oder nicht schuldig ist. Bei der Ansprache die der Richter der Jury am Anfang hält erfahren wir, dass diese eine ehrenwerte Aufgabe trägt, das System ohne die Aufopferung der Bevölkerung nicht funktionieren würde und das System aber das beste ist was es gibt. Wir sind uns da nicht so sicher. Was nämlich passiert ist, dass die Jury nur einen ausgewählten Teil des Prozesses mitbekommen darf. Sie dürfen nicht wissen, ob der Angeklagte vorher schonmal Kontakt mit der Justiz hatte, und etwa im Gefängnis war, ob er Drogen nimmt oder sonst irgendwelche negativen Eigenschaften hat. Das führt dann dazu, dass vor dem Prozess mit der Jury schon ein Vorprozess geführt wird, in dem alle Beweismittel gesichtet und Zeugen befragt werden. Die Beweismittel werden dann redigiert, so dass Aussagen wie "ich möchte meinen Anwalt anrufen" rausgenommen werden, weil das Wort "mein" ja darauf schließen kann, dass derjenige schon früher mal einen Anwalt gebraucht hatte, also ein Straftäter ist. Den Zeugen wird eingeschärft dass sie bestimmte Sachen nicht sagen dürfen. Wegen der Grundsätze des Systems ist diese Vorbereitung jedoch sehr wichtig, denn sobald vor der Jury etwas über den Angeklagten erwähnt wird, was diese nicht wissen darf, muss die Jury entlassen werden und alles muss mit einer neuen wiederholt werden. Denn anders als in Amerikanischen Prozessen wird hier davon ausgegangen, dass es nicht ausreicht zu sagen, dass eine Tatsache nicht berücksichtigt werden kann, denn sobald sie im Kopf der Jurymitglieder ist, wird sie sich in der Regel auch auf deren Urteil auswirken. Aufgrund dieser Besonderheiten und der Tatsache, dass über die Zulassung so ziemlich jedes Beweisstückes schon im Vorfeld ausgiebig diskutiert wird ziehen sich alle Prozesse sehr in die Länge. So ist das System nicht nur zeit- sondern auch personalintensiv denn anstatt eines Anwaltes, wie wir es in Deutschland hätten gibt es immer einen Solicitor und einen Barrister. Dies ist übrigens auch auf Seiten der Anklage so. Es tritt nicht der Staatsanwalt auf, sondern auch hier wird ein Barrister beauftragt.
Unsere Mittagspause: im Phancy Cafe oder auf dem Queen Victoria Market, wo es frisch gepressten Saft gibt, der tausend mal wacher macht als Kaffee... |
Zum Arbeitsleben und Alltag eines Anwalts:
Ãœber den „walk“ zur Arbeit in Flipflops, Kinder im Büro und nette Gespräche bei einem spontanen Kaffee zwischen Gericht- oder Mandantentermin und Kanzlei haben wir ja schon berichtet. ....
Viele Anwälte sind Mitglieder in Clubs, die ihren Sitz in einem der zahlreichen Hochhäuser in der Innenstadt haben und täglich ein Buffet nur für Mitglieder haben. So können die Juristen unter sich bleiben – auch in der Mittagspause. Jeden Tag geht aber von den Anwälten die wir kennengelernt haben keiner hin. Es diente vielmehr als besondere Abwechslung anlässlich eines Abschiedsessens – da wurde dann dafür gesorgt dass ausnahmweise auch die Nichtmitglieder mitdürfen.
Aborigines sind hier als Gespraechsthema nicht gerade an der Tagesordnung. Wir haben sie auch nur vereinzelt gesichtet. Nachdem Tine aufgefallen ist, dass jeder Angeklagte zu Beginn seiner Vernehmung gefragt wird, ob er Aborigine ist, haben wir jedoch bei unseren Anwälten nachgefragt. Wenn es um „kleinere Vergehen“ geht, kann ein Amtsrichter entscheiden, dass der Fall vor die sogenannte Kreisverhandlung kommt. Der Stamm entscheidet dann nach eigenem Recht welche Strafen angemessen sind. Das könnte zum Beispiel sein, dass mit einem für einen gewissen Zeitraum nicht mehr gesprochen wird, oder Hausarrest erteilt wird. Aber auch körperliche Verletzungen können zugefügt werden. Es war jedoch auch schon vorher so, dass Aborigines nachdem sie die Strafe "nach dem Gesetz der Weißen abgesessen haben" sich nochmals vor ihrem Stamm für die gleiche Tat verantworten mussten. Erinnert unserer Ansicht nach ein wenig an unser autonomes Kirchenrecht. Wenn bei uns etwas „ins Weltliche ausschlägt“ oder hier eben eine gewissen Schwelle überschritten ist (wo die liegt können wir euch leider nicht sagen), gelten die allgemeinen Regeln wie für jeden anderen auch. Dieses System wurde auch erst vor einige Jahren eingeführt. Vorher wurden die Ureinwohner Australiens nur nach dem einheitlichen Rechtssystem bestraft - relativ unwirksam jedoch, da trotzdem etwa 25 % der Insassen von Gefängnissen Aborigines waren, und das obwohl sie nur einen wesentlich geringeren Prozentsatz der Einwohnerschaft ausmachen. Die Änderung in diesem System soll aber bereits eine positive Entwicklung bewirkt haben.
Diese Woche mussten wir dann unseren australischen Arbeitsplätzen und den Leuten dort schon auf Wiedersehen sagen. Deutschland ruft mit den mündlichen Prüfungen nach uns. Weil wir uns so wohl gefühlt haben, finden wir das natürlich besonders traurig und dass die Verabschiedung unglaublich herzlich ausfällt macht es natürlich nicht leichter zu gehen. Aber man hat den Eindruck, dass die Leute es wirklich so meinen, wenn sie sagen, dass man unbedingt wiederkommen und in Kontakt bleiben soll.
Heimweg ... |
Auch wenn einige der Stationen in Deutschland auch wirklich Spaß gemacht haben und wir eine gute Zeit hatten, wird diese Station natürlich aussergewöhnlich und unvergesslich bleiben!
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